Wunsiedler Forum Ruckzuck zurück an den Herd

Auszug aus dem Theaterstück „White Power Barbies“ des Jungen Theaters Hof:Julia Leinweber mimt beim Wunsiedler Forum die fiktive Rechtsaußen-Politikerin „Dr. Engelbrecht“ Foto: Florian Miedl

Rollenbilder, Diskriminierung, Geschlechterungerechtigkeit. Das Wunsiedler Forum befasst sich mit den schlimmen alltäglichen Erfahrungen von Frauen und queeren Menschen. Die Experten belegen all die Ungerechtigkeiten überwiegend mit Zahlen.

 
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Wenn es hart auf hart kommt, dominieren dann doch wieder die Rollenbilder. Allen Sonntagsreden, gesetzlichen Regelungen und gesellschaftlichen Konventionen zum Trotz zeigt die Corona-Pandemie, wie es um die Gleichstellung von Mann und Frau in Deutschland wirklich steht. „Ja, wir haben in den zurückliegenden Jahrzehnten viele Fortschritte gemacht. Doch als während der Corona-Pandemie die Schulen schlossen, waren es die Frauen, die in alte Rollenbilder schlüpften und die Kinder betreuten“, sagt Sarah-Alena Thoma, Gleichstellungsbeauftragte im Landratsamt Wunsiedel. Während wegen der zusätzlichen Arbeiten im Haushalt und der Familie 27 Prozent aller Frauen ihre Arbeitszeit verkürzten, taten dies 16 Prozent der Männer.

Das ist nur eines der Beispiele, die die Experten beim Wunsiedler Forum am Dienstag in der Fichtelgebirgshalle nannten. Es gibt viele, viele weitere.

Das Wunsiedler Forum ist eine der bedeutendsten Veranstaltungen gegen Rechtsex-tremismus, Rassismus und Diskriminierung in Bayern. In der 15. Auflage sind gut 200 Experten aus Vereinen, Institutionen und Behörden anwesend, um sich mit dem Thema Geschlechterdiskriminierung zu befassen und Handlungsmöglichkeiten zu eruieren. Das vielsagende Motto der Veranstaltung: „Im Eifer des Geschlechts.“ Die Veranstalter vom Bayerischen Bündnis für Toleranz aus Bad Alexandersbad sowie Stadt und Landkreis Wunsiedel werfen damit ein Licht auf die alltäglichen Erfahrungen von Frauen und queeren Menschen (dies ist ein Sammelbegriff für Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen), die nur allzu häufig von Diskriminierung, Zurücksetzung und Gewalt geprägt sind.

Videos schockieren

So hehr das Ziel ist – zumindest der Vortragsteil wird dem nur bedingt gerecht. Lisi Maier, Direktorin der Bundesstiftung Gleichstellung, und Markus Apel, Vorstandsmitglied im Lesben- und Schwulenverband Bayern, verdeutlichen anhand eines guten Dutzends Statistiken, wie viel in der Gesellschaft im Argen liegt. Allerdings ist diese Herangehensweise abstrakt und vermittelt das Leid, dem Frauen und queere Menschen noch immer häufig ausgesetzt sind, nur vage. Deutlich hingegen werden zwei Videos, in denen Betroffene von ihren Erfahrungen berichten. Etwa der, der sich fast jede Frau ausgesetzt sieht, wenn sie in der Dunkelheit zu Fuß nach Hause gehen muss. Angst? Viele Männer können sich diese nicht vorstellen. Oder der schwule Beschäftigte eines Unternehmens, der vom Mittagessen mit seinem Chef erzählt. Als dieser einen dummen Witz über Homosexuelle reißt, traut sich der Mann nicht, dies anzusprechen und bedauert es später.

Genau hierin liegt wiederum das Verdienst des Wunsiedler Forums. Es legt den Finger in eine Wunde, die in der Gesellschaft zwar immer mal wieder wahrgenommen, aber dann doch eher als Randthema abgetan wird.

Gendern ist kein „Gender-Gaga“

Der Wunsiedler Bürgermeister Nicolas Lahovnik bekennt, dass er froh über das Thema sei. „Ja, hier gibt es Handlungsbedarf. Wenn das im rechtsextremen und populistischen Bereich als ,Gender-Gaga’ abgetan wird, zeigt es, wie wichtig es ist, dass wir uns damit befassen.“ Landrat Peter Berek blickt zurück: So sei es in den 60er-Jahren nicht so selbstverständlich wie heute gewesen, dass Mädchen eine höhere Schule besuchen. „Oder denken Sie an gewisse Sendungen wie den ,Siebten Sinn’ , die man heute gar nicht mehr ansehen kann.“ Er spielt dabei auf Beiträge an, in denen Frauen per se als schreckhaft und schlechtere Autofahrerinnen geschildert werden.

Über diese altmodischen Stereotypen kann man lachen. Ja. Aber sie prägen sich ein - und das hat Folgen. So schildert etwa Lisi Maier ein wissenschaftliches Experiment, in dem Kindern eine Geschichte mit einem unheimlich schlauen und handlungsstarken Hauptakteur vorgelesen wurde. In der Geschichte wird das Geschlecht nicht genannt. „Wie sich zeigt, nennen bei der Frage, ob es sich bei der Person um einen Mann oder eine Frau handelt, Kinder bis fünf Jahre ihr eigenes Geschlecht. Ab sechs sagen nicht nur die Jungen, sondern auch die meisten Mädchen, dass es sich um einen Mann handelt.“ Dies sei eine „Lernerfahrung“. All das trage dazu bei, dass Frauen weniger verdienen, in Vorständen unter- und dafür in der Betreuungs- und Pflegearbeit überrepräsentiert sind.

Queere Menschen rücken ins Bewusstsein

In den vergangenen Jahren ist auch die Gruppe der queeren Menschen mehr ins Bewusstsein gerückt. Diese wird unter anderem von Markus Apel als Vorstandsmitglied im bayerischen Lesben- und Schwulenverband vertreten. Immerhin gebe es heute die Möglichkeit, sich am Standesamt nicht nur als männlich oder weiblich eintragen zu lassen, sondern auch als divers, oder aber die Geschlechtskategorie offen zu lassen, sagt er. So offen, wie sich Deutschland gerne sehe, sei das Land allerdings nicht. „So vermeiden es laut Umfrage 45 Prozent aller queeren Menschen, in der Öffentlichkeit Händchen zu halten.“

Beileibe nicht nur, aber vor allem in rechtsextremen Kreisen gelten Themen wie Feminismus, Homosexualität oder queere Lebensweisen als Feindbild. Hier sieht Martin Becher, Geschäftsführer des Bündnisses für Toleranz, ein Einfallstor der Rechten in anfällige Bereiche der Gesellschaft. Extremisten versuchten etwa, an konservative kirchliche Kreise anzudocken.

Nach den eher theoretischen Inputs bringt das Junge Theater Hof mit Autor Roland Spranger reichlich Leben in die Diskussion. Unter anderem zeigen die Schauspieler in dem Stück „White Power Barbies“, wie rechtsextreme Politikerinnen ticken und den Feminismus ad absurdum führen. Letztlich sind sich alle gut 299 Teilnehmer am Forum einig, dass die Gesellschaft weit mehr als bisher für das Thema Geschlechterdiskriminierung sensibilisiert werden muss. Dies sei insbesondere in Institutionen wie der Polizei aber auch bei Richtern notwendig, sagt Heidi Maier. Letztlich müsse die Botschaft aber auch im Alltag ankommen. Sonst ändere sich nichts.

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