Das Lied war schon vor der Adelung durch Beethoven ein Gassenhauer, sagte die Beethoven-Forscherin Beate Kraus vom Beethoven-Haus Bonn. Dafür sei nicht nur der revolutionäre Text verantwortlich, sagte sie der dpa. Denn diese Hymne auf Freude und Freundschaft sei auch in Studentenkreisen beliebt gewesen. "Das ist einfach ein Sauflied", meinte Kraus.
Unter dem Titel "Ode an die Freude" wurden Schillers Verse zum inhaltlichen Kern der Neunten. Seit der Uraufführung hätten der Genie-Kult um Beethoven und die Vielschichtigkeit dieser Sinfonie dazu geführt, dass sie mit unterschiedlichsten Inhalten aufgeladen wurde, meinte Kraus. "Deshalb kann jeder sich herauspicken, was er oder sie favorisiert", sagte die Wissenschaftlerin.
Hitlers Geburtstagsmusik und deutsch-deutsche Hymne
Beethovens Musik wurde in der NS-Zeit instrumentalisiert. Die neunte Sinfonie erklang etwa zum Geburtstag von Adolf Hitler. In der DDR wurde das Werk des Komponisten im kommunistischen Sinne als Musik des Friedens und der Völker-Freundschaft gedeutet. "Nur im Frieden können wir unser nationales Kulturerbe pflegen", hieß es etwa auf einem Plakat für eine Aufführung der Neunten in der sächsischen Stadt Aue im Jahr 1952.
Die "Ode an die Freude" begleitete die Teilung und Wiedervereinigung Deutschlands. In den 50er und 60er Jahren diente sie bei Olympischen Spielen als deutsche Hymne für die gesamtdeutschen Teams aus west- und ostdeutschen Athletinnen und Athleten. Nach dem Mauerfall führte Stardirigent Leonard Bernstein die Neunte mit dem umgedichteten Text "Freiheit, schöner Götterfunken" im Dezember 1989 in Ost- und Westberlin auf.
Beethovens handschriftliche Noten der Neunten werden großteils in der Staatsbibliothek Berlin aufbewahrt. Unterschiedliche Lagerorte einzelner Teile während des Zweiten Weltkriegs hatten eine west-östliche Odyssee nach dem Krieg zur Folge. Erst die Wiedervereinigung brachte Beethovens Noten wieder zusammen.
Beethoven als Reibebaum und Energiequell
Anfang der 70er Jahre dampfte Herbert von Karajan den komplexen vierten Satz mit seinen Dissonanzen, dramatischen Wendungen und verflochtenen Gesangsstimmen zu einer massentauglichen Hymne für den Europarat ein. Später wurde sie auch zur Hymne der Europäischen Union. Dadurch wurde Beethovens Melodie auch zum politischen Reibebaum: So drehten sich etwa Abgeordnete der britischen Brexit-Partei während der Hymne im Europäischen Parlament demonstrativ um. Ende April blieben einige Mitglieder der rechten und EU-kritischen Fraktion Identität und Demokratie sitzen, als die Europahymne zum Gedenken an die EU-Erweiterung erklang.
Man kann Beethovens Meisterwerk aber auch einfach nur genießen. Das tun viele Menschen in Japan, wo Aufführungen der Neunten mit Amateur-Chören zu den Traditionen rund um den Jahreswechsel gehören. Die größten dieser Konzerte finden in Osaka mit insgesamt 10.000 Sängerinnen und Sängern statt und werden von Yutaka Sado dirigiert. Unter den Teilnehmern seien Krebspatienten oder Menschen, die Angehörige pflegen und Kraft aus der Musik schöpfen wollen, erzählte Sado, der auch Chefdirigent des Tonkünstler-Orchesters in Niederösterreich ist. Beethovens Musik drücke aus, dass Freude nicht so einfach zu bekommen sei. "Wir müssen einander umarmen, um Freude erreichen zu können", sagte er der dpa. Das gelte auch mit Blick auf Naturkatastrophen und Kriege.